Auf einer Reise nach Portugal entdeckte die Zürcher Designerin Estelle Gassmann Rotalgen und deren Anwendung als grafische Objekte. Die Gestaltungsmöglichkeiten faszinierten sie derart, dass sie selbst Rotalgen präparierte und mit ihnen eine Bettwäsche-Kollektion entwarf.
Als Estelle Gassmann im portugiesischen Ílhavo das Schifffahrtsmuseum besuchte, hatte sie die Vorlage für ihr nächstes Design gefunden: Algen. «Ich hatte nicht gewusst, dass es so schöne Algen gibt und man sie derart dekorativ auslegen kann», sagt sie. Weil sich ihr hier unzählige Designmöglichkeiten boten, besorgte sie sich im Museumsshop ein Buch des Museumsgründers und Algenliebhabers Américo Teles. Darin beschrieb er, wie man die einzelnen Algenarten zum Pressen auslegt.
Aufwendige Algenpräparation
Erst musste Estelle Gassmann die Algen jedoch finden. Hier kam ihr der Zufall zu Hilfe. Der Freund einer Kollegin in ihrem Gemeinschaftsatelier, der an der ETH Biologie studierte, plante just eine Exkursion nach Roscoff in der Bretagne, um Algen zu präparieren: Estelle Gassmann hatte ihren fachkundigen Begleiter gefunden. Für die Rotalgen, die es ihr besonders angetan hatten, musste sie bei möglichst starker Ebbe weit ins flache Meer hinausgehen. Dort fand sie angeschwemmte Exemplare, die sich aufgrund des Kontaktes mit Sauerstoff pink und orange verfärbt hatten. Die frischesten, aber auch einige bereits «leicht vergammelte», sammelte sie ein. Danach folgte ein Trocknen auf losem Papier, das den Heimtransport in die Schweiz erleichterte.
Algen-Herbar: Schon Queen Victoria legte eines an
Zu Hause legte Estelle Gassmann die Algen in Wasser ein, damit sie nochmals aufblühten. Anschliessend legte sie die Algen auf leicht geflutetem Papier über einer Glasplatte aus, brachte sie in die gewünschte Form, liess das Wasser ab und presste sie. In diesem arbeitsintensiven Prozess entstand ein sogenanntes Algen-Herbar. Es ist vergleichbar mit dem Blüten-Herbar, das manche von uns in der Schule anlegen mussten, und gar nicht so selten, wie man dies – als Bewohner eines Binnenlands – meinen könnte. «In England war das Sammeln von Algen während der Industrialisierung und im viktorianischen Zeitalter populär. Queen Victoria zum Beispiel stellte ein Algen-Herbar her», erzählt Estelle Gassmann.
Bildkomposition statt Musterwiederholung
Mit den präparierten Algen hat Estelle Gassmann Bettwäsche-Designs entworfen. Jedes hat sie sorgfältig wie ein Bild geplant, sodass keine Wiederholungen von Mustern oder Sujets auftreten. Damit die Kompositionen spannungsvoll und gleichzeitig harmonisch wirken, hat sie die Grössen der Algen angepasst. Deren Farben hingegen sind echt. Auf irritierende Elemente, wie sie für ihre Designs sonst typisch sind, hat sie für einmal verzichtet. «Ich wollte die Schönheit der Algen nicht durchbrechen», sagt Estelle Gassmann. In ihrer nächsten Kollektion, die für 2024 vorgesehen ist, soll sich das Auge jedoch wieder an etwas reiben dürfen.