HomeBlogFachartikelZeitlose Farbigkeit

Zeitlose Farbigkeit

Dass die Welt vor der Erfindung von Farbfotografie und Farbfernsehen nicht etwa schwarzweiss stattfand, zeigt unter anderem ein Besuch im Haus der Farbe in Zürich. Eine Annäherung an die Farbigkeit der letzten Jahrzehnte.

Im Jahr 1826 gelang es Joseph Nicéphore Niépce, das erste beständige Schwarzweiss-Bild aufzunehmen. Die Fotografie tauchte die Farbwahrnehmung lange Zeit in ein monochromes und zuweilen tristes Bild. Spätestens seit der Erfindung des Farbfernsehens (in der Schweiz ausgestrahlt ab 1968) ist allen klar, dass die Geschehnisse in der Welt sich in Wirklichkeit nie schwarzweiss abgespielt haben …

Farbe war immer da

Höhlenmalereien zeigen, dass Menschen bereits vor dreissig- oder vierzigtausend Jahren farbige Anstriche verwendeten. Diese bestanden damals wohl aus fein gemahlener Erde oder mineralischen Pigmenten, welche mit pflanzlichen Ölen oder tierischem Fett vermengt und anschliessend aufgetragen wurden.

Aus Pigmenten und entsprechenden Bindemitteln sind Farben (Anstriche) noch heute aufgebaut. Verändert hat sich im Laufe der Zeit die konkrete Zusammensetzung und die Zahl der vorhandenen Möglichkeiten.

Das Haus der Farbe

Wenn es um Farbe in all ihren Facetten geht, dann ist das Haus der Farbe in Zürich eine hervorragende Anlaufstelle. Hier werden Farbgestalter ausgebildet, aber auch Handwerker aus verschiedenen Richtungen finden im Haus der Farbe eine entsprechende Weiterbildung. Bei meinem Besuch ist ein Student des Lehrgangs Farbgestaltung am Bau – ein Architekt – darin vertieft, die Wirkung eines betongrauen Würfels im Kontext von reflektierenden Farbflächen zu betrachten. Die drei sichtbaren Seiten des Würfels erscheinen dabei nicht etwa grau, sondern in lichten, architektonischen Farbnuancen. «It’s magic», bemerkt Farbgestalterin und Co-Institutsleiterin Marcella Wenger-Di Gabriele.

Grosse Farbklaviatur

Sie zeigt die Schätze des Hauses der Farbe in Form von Büchern, Farbmustern, Untersuchungen, Atelierräumen – und macht klar, dass das Vorhaben, Farben nach Zeitepochen zu ordnen und daraus eine zeitlose Farbigkeit zu extrahieren, schier unmöglich ist. Mit einem Farbfächer zeigt sie auf, dass eine grosse Klaviatur wundervoller Farben auf Ölbasis bereits Ende des 19. Jahrhunderts und davor zur Verfügung gestanden hat; dass es bei der Verwendung von Farbe in der Vergangenheit um viel mehr ging als darum, ob eine Farbe überhaupt erst hergestellt werden konnte. Es ging um den Willen, diesen oder jenen Farbton anzuwenden, um den Mut, überhaupt mit Farbe zu experimentieren, oder um den Zeitgeist sowie die allgemeinen Entwicklungen, die eine Epoche hervorbrachte.

Lokales Kolorit

Auch das isolierte Betrachten von Farbe sei schwierig, denn bei Farbgestaltung gehe es in der Regel um Kompositionen. Aufgezeigt werden etwa Farbporträts von Städten, die aus Farbklängen, also mehreren am Bauwerk vorkommenden Farben, bestehen. Festgehalten sind solche Farbklänge in Büchern wie demjenigen mit dem Titel «Farbkultur in Freiburg». Hier wird die Farbigkeit der Stadt Freiburg im gleichnamigen Kanton offenbart und jeweils eine Sammlung von mehreren Farben den Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts zugeordnet. 
Ebenso aufklärend wie überraschend: ein Farbfächer mit Grüntönen von Sandstein aus der Berner Altstadt: Da wird nicht nur die vielfältige Farbigkeit eines Baumaterials sichtbar, sondern auch, dass das lokale Kolorit bei Farbgebungen im Aussen- wie auch im Innenraum bedeutend seine Hand im Spiel hat.

Atmosphäre statt Mainstream

Man könnte nun meinen, dass der Durchschnitt der in den letzten hundert Jahren verwendeten Farben die Zeitlosigkeit einer Farbe definiert. Doch das Ergebnis kann bei solchem Vorgehen wohl höchstens durchschnittlich sein. Viel wichtiger sei, dass Farbe und Architektur gleichzeitig gedacht werde, ist Marcella Wenger-Di Gabriele der Überzeugung. Nur so könnten Kompositionen entstehen, die wirklich wirken. «Wenn sich die Farbgebung nach der Atmosphäre und nicht nach dem Mainstream richtet, dann hat Gestaltung das Zeug zum Klassiker», erklärt die Farbspezialistin. Und: Gebrochene oder entsättigte Farben seien grundsätzlich zeitloser als laute, gesättigte Töne.

Der Zweck entscheidet

Wo und wie Farbe eingesetzt wird, hängt stark vom Zweck ab, der einem Raum zugeordnet ist. In den eigenen vier Wänden kann Farbigkeit zum Beispiel beim Kochen gefragt sein. Beim Arbeiten dagegen wird man eventuell nicht gerne von harten Farbklängen abgelenkt, auch wenn es Farben gibt, die anregend, beruhigend, gar leistungsfördernd wirken sollen. Der öffentliche Raum werde zu wenig in Farbe und Atmosphäre getaucht, lautet die Meinung der Institutsleitung. Und wenn, dann geschehe dies oft zu plakativ – und damit wenig zeitlos.

 
Die Salubra-Farben von Le Corbusier geben in manchen Bereichen den Ton an. Waren die Farben der ersten Edition noch weitgehend in Pastell gehalten, kamen in der zweiten Edition aus den 50er-Jahren auch knallige Farben vor.
 
Auch vor dem 20. Jahrhundert wurde Farbe differenziert wahrgenommen und verarbeitet. Hier eine Doppelseite aus einem Standardwerk für Maler, im Vergleich mit einer goldig pigmentierten Acrylfarbe (Unterlage) von heute.