Marco Föhn, Co-Inhaber und -Geschäftsführer der MAB Möbel AG, und Davide Mastrodomenico, Geschäftsführer der Girsberger AG, engagieren sich im Vorstand von einrichtenschweiz. Im Interview sprechen sie über veränderte Kundenbedürfnisse, nachhaltige Produktion, digitale Transformation.
Wie sind Sie zur Möbelbranche gekommen, und was fasziniert Sie daran?
Davide Mastrodomenico: Bei mir war es ein klassischer Quereinstieg. Ich habe keine Schreinerlehre gemacht, aber mich schon als Kind für Handwerk und Gestaltung interessiert. Den direkten Zugang fand ich bei der Einrichtung meiner ersten Wohnung – ich habe mich so stark reingekniet, dass mich ein Zürcher Designhaus, bei dem ich Möbel kaufte, gleich abgeworben hat. Ich wurde quasi vom Kunden zum Mitarbeitenden. Seither bin ich in der Branche geblieben.
Marco Föhn: Mein Einstieg war weniger spektakulär. Meine Grosseltern hatten eine Küchenfabrik, da habe ich als Jugendlicher meine Ferienjobs gemacht. Später übernahmen meine Eltern die MAB Möbel AG, und ich bin nach meinem Holzingenieurstudium sowie ein paar Jahren bei einem kleinen Unternehmensberater 2012 ins Unternehmen eingestiegen. Seit 2019 führe ich es gemeinsam mit meinem Bruder Andreas.
Wie hat sich die Schweizer Möbelproduktion in den letzten zehn Jahren verändert, und wo sehen Sie aktuell die grössten Herausforderungen?
Mastrodomenico: Die Veränderungen sind tiefgreifend. Früher war bei uns vieles noch reine Handarbeit, heute ist der Produktionsprozess stark digital geprägt. Die Möglichkeiten der Automatisierung haben enorm zugenommen – auch wenn nach wie vor ein bedeutender Anteil manuell erfolgt. Gleichzeitig hat sich das Berufsbild der Mitarbeitenden gewandelt: Es braucht heute weit mehr technisches Verständnis, mehr Flexibilität und ein gutes Zusammenspiel von Handwerk und digitalem Know-how.
Föhn: Bei uns war das früher fast schon umgekehrt – wir produzierten Regale und Wohnwände in Grossserie, teils hundert Stück auf Vorrat. Diese Zeiten sind vorbei. Heute fertigen wir ausschliesslich auf Bestellung. Die neuen Maschinen und die digitale Datengenerierung, in die wir viel investiert haben, helfen uns dabei. Was sich ebenfalls stark verändert hat, ist der Stellenwert des Wohnens: Früher investierten Familien drei, vier Monatslöhne in eine Wohnwand. Heute ist die Zahlungsbereitschaft deutlich geringer. Gleichzeitig sind die Kundenwünsche individueller geworden, die Erwartungen an Flexibilität gestiegen.
Die Schweizer Möbelindustrie steht im internationalen Wettbewerb. Wie schaffen es Schweizer Hersteller, sich gegen günstigere Importe zu behaupten?
Föhn: Unser Erfolgsrezept ist die Kombination aus Massanfertigung, handwerklicher Qualität und Nähe zum Kunden. Ein Beispiel ist unser neues Schranksystem, das vollständig auf individuelle Masse ausgelegt ist. Technisch sind wir so aufgestellt, dass es keinen Unterschied macht, ob ein Schrank 2 Meter hoch ist oder 1,957 Meter. Das hilft uns auch im Innenausbau: Bei grösseren Überbauungen gleicht auf dem Plan vielleicht jede Wohnung der anderen, in der Realität braucht es aber fast immer individuelle Anpassungen. Hinzu kommt eine grosse Materialvielfalt und die Fähigkeit, auf spezielle Wünsche einzugehen. Das können internationale Anbieter so nicht leisten. Und: Der direkte Austausch mit unseren Kunden macht den entscheidenden Unterschied.
Mastrodomenico: Eine Herausforderung sind die Preise in der Schweiz: Wir produzieren in einem der teuersten Länder der Welt. Aber unsere Stärke liegt in der Qualität, Präzision und Innovationskraft. Wir bewegen uns bewusst in einer Nische und sprechen eine Kundschaft an, die Wert auf Langlebigkeit und persönliche Gestaltung legt. Gerade im Direktkontakt – etwa wenn ein Kunde seine Tischplatte zusammen mit uns konfiguriert – entstehen individuelle Produkte, die so nur dank der räumlichen Nähe zum Kunden möglich sind. Individualisierbarkeit ist dabei eine unserer grössten Stärken. Unsere Kunden können die Möbel in Grösse, Holzart und Oberflächenfinish individuell nach ihren eigenen Wünschen und genau auf ihre räumlichen Gegebenheiten anpassen, und wir setzen dies eins zu eins um. Darüber hinaus haben wir einen eigenständigen Geschäftsbereich, der darauf spezialisiert ist, individuelle Möbel nach Entwurfsvorlagen von Architekten und Designern zu realisieren.
Wie sehr sind Sie von Trumps Zöllen betroffen?
Mastrodomenico: Direkt betreffen uns die Zölle nicht. Unser Fokus liegt auf der Schweiz und Deutschland. Auch bei der Teilebeschaffung sind wir unabhängig, da wir fast ausschliesslich innerhalb eines Radius von 600 Kilometern einkaufen. Selbst grosse Zulieferer unserer Branche produzieren kaum in den USA – von daher sehe ich keine unmittelbaren Auswirkungen.
Föhn: Auch wir sind kaum betroffen. 95 Prozent unseres Geschäfts machen wir in der Schweiz, der Rest in der DACH-Region. Zwar ist es schwer abzuschätzen, wie sich die Preise für Metall, Beschläge oder Glas entwickeln, aber aktuell sehe ich keine grösseren Risiken. Sollte es jedoch zu einer wirtschaftlichen Abkühlung oder gar einer Rezession kommen, würde es für uns schwieriger, denn unsere Produkte bewegen sich eher im Luxussegment.
Welche technologischen Entwicklungen beeinflussen die Produktion am stärksten?
Mastrodomenico: Digitalisierung, Automatisierung und zunehmend auch künstliche Intelligenz verändern unsere Arbeit grundlegend. Wir setzen KI zum Beispiel ein, um bei Upcycling-Projekten zu analysieren, was sich aus bestehenden Möbeln wiederverwerten lässt. Dabei geht es vor allem um Geschwindigkeit – und die ist in der Produktion gleichbedeutend mit Kosteneffizienz. Spannend finde ich auch neue Materialien wie Mycelium: Das sind Pilzwurzelfasern, die in vorgegebenen Formen wachsen und in wenigen Tagen zu festen Strukturen werden. Erste Anwendungen existieren bereits, aber bis zur Serienreife braucht es noch Zeit.
Föhn: Der grösste Wandel bei uns war die vollständige Integration der 3D-Planung in den Produktionsprozess. Früher legten wir jede Möbelkomponente einzeln an. Heute wird das Möbel komplett digital gezeichnet, und daraus entstehen automatisch die Stücklisten. Auch KI beschäftigt uns: Ein Geschäftsleitungsmitglied hat einen CAS-Abschluss in diesem Bereich gemacht. Aktuell nutzen wir die Technologie für Montagevideos, um unsere Kunden besser zu unterstützen. Ein interner Chatbot ist in Planung. Zudem sind wir als kleines Unternehmen stark auf enge und gute Partnerschaften mit innovativen Lieferanten angewiesen. Viele Neuerungen entstehen bei uns über diesen direkten Austausch.
Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit heute in der Möbelproduktion, und wo sehen Sie noch Verbesserungspotenzial?
Mastrodomenico: Nachhaltigkeit ist kein neues Thema, aber es hat heute einen anderen Stellenwert, auch durch neue gesetzliche Vorgaben. Ich bin der Meinung, dass Nachhaltigkeit nicht als Last, sondern vielmehr als Chance betrachtet werden sollte – eine Chance, Produkte neu zu denken und Materialien anders zu nutzen. Aus dieser Überzeugung hat Girsberger bereits vor vielen Jahren einen eigenen Geschäftsbereich für Zirkularität geschaffen, der sich – wenn auch ausschliesslich im Projektbereich – speziell auf das Remanufacturing und Upcycling konzentriert.
Föhn: Nachhaltigkeit steckt bei uns in der DNA, auch wenn wir darüber wahrscheinlich zu wenig reden. Wir setzen auf nahe Lieferketten – möglichst aus der Schweiz, sonst aus dem angrenzenden Ausland – und produzieren langlebige Möbel. Das ist für mich der wichtigste Aspekt: Nicht fünf Möbel kaufen – sondern eines, das hält.
Der Onlinehandel wächst stetig. Welche Bedeutung hat die digitale Präsenz für Möbelhersteller, und welche Bedeutung ist der Direktvertrieb?
Mastrodomenico: Für uns ist der Verzicht auf Onlineverkauf ein klarer strategischer Entscheid. Unsere Möbel sind hochwertig und individualisiert. Die Kundinnen und Kunden wollen sie anfassen, erleben und selbst konfigurieren. Das funktioniert nur im direkten Austausch. Deshalb setzen wir konsequent auf den Fachhandel und bleiben dem klassischen Vertriebsweg treu.
Föhn: Auch wir haben uns ganz bewusst gegen Onlinevertrieb entschieden. Im Möbelbereich ist der Fachhandel unser klarer Partner. Unsere Produkte sind zu beratungsintensiv und hochwertig, um sie einfach online zu verkaufen. Im Innenausbau sind wir wie ein Schreinerbetrieb unterwegs und arbeiten direkt mit Architekten, aber im Möbelsegment bleibt der Fachhandel unser Weg.
Sie engagieren sich im Vorstand von einrichtenschweiz. Welche Anliegen der Möbelproduzenten möchten Sie dort besonders vertreten?
Mastrodomenico: Der Austausch mit anderen Herstellern war uns schon vor dem Engagement wichtig. Viele sind Kollegen, wir sprechen offen über Probleme. Der Verband bündelt diese Anliegen und bringt sie auf den Punkt. Ein aktuelles Beispiel ist die neue EU-Verordnung EUDR. Viele Mitglieder sind betroffen, aber keiner weiss genau, was zu tun ist. Der Verband kann hier koordinieren, informieren, unterstützen.
Föhn: Für mich ist der Produktionsstandort Schweiz ein Herzensthema. Wir müssen als Branche zusammenstehen, einander unterstützen. Der Konkurrent ist nicht der Kollege in der Schweiz, sondern der Produzent im Ausland. Der Verband kann helfen, den Dialog zwischen Handel, Industrie, Designern zu stärken. Da gibt es noch Potenzial.
Sie sprechen den Austausch an. Wie profitieren Sie als Hersteller vom Dialog mit dem Möbelfachhandel und den Wohnberatern innerhalb des Verbands?
Mastrodomenico: Sehr stark. Als Hersteller glauben wir manchmal, wir wüssten, was der Kunde will. Der Fachhandel ist jedoch viel näher dran am Endkunden. Nur durch den engen und regelmässigen Austausch erfahren wir, was wirklich gefragt ist, und können unsere Produkte entsprechend ausrichten.
Föhn: Der offene Austausch im Vorstand ist wichtig. Was uns heute fehlt, sind informelle Plattformen für den Dialog. Früher gab es zum Beispiel den Apéro an der IMM in Köln, wo sich jeweils über 100 Menschen quer durch die Schweizer Möbellandschaft austauschten. Solche Gelegenheiten zur direkten Begegnung könnten viel zur Stärkung der Branchenkultur beitragen und sollten in irgendeiner Form wiederbelebt werden.
Mastrodomenico: Ich finde es ebenfalls wichtig, dass der Verband neue Treffpunkte und Eventformate fördert. Früher haben wir Messen und Branchenevents einfach als gegeben betrachtet. Nun, da es solche Gelegenheiten weniger gibt, merken wir erst, wie sehr sie fehlen. Der Austausch mit Berufskollegen, das gemeinsame Diskutieren, ist essenziell.
Gibt es weitere Initiativen im Verband, die Sie besonders wichtig finden?
Föhn: Für mich ist die Grundbildung eines der zentralen Themen, auch wenn in unserer eigenen Sektion die Zahl der Lernenden klein ist. Branchenweit benötigen wir jedoch auch in 20 Jahren qualifizierte Fachkräfte, die das Handwerk hochhalten. Wichtig dabei sind motivierte Betriebe, die sich bereit erklären, junge Leute auszubilden und lokal den Beruf stärken.
Welchen Trends sollte sich die Schweizer Möbelindustrie in den nächsten Jahren besonders widmen?
Mastrodomenico: Zwar kein Trend, aber ein langfristiges Thema ist Nachhaltigkeit. Die Kreislaufwirtschaft und der Einsatz nachhaltiger Materialien werden sich zunehmend in unseren Prozessen verankern. Noch sind wir in der Industrie weit davon entfernt, hier am Ziel zu sein – aber wir müssen vorwärts machen, eher schneller als langsamer, um uns im Markt klar differenzieren zu können.
Föhn: Neben der Nachhaltigkeit sehe ich die Individualisierung als wichtigen Trend. Zudem wird viel von kleinerem Wohnraum gesprochen, doch steigen in der Schweiz die Wohnflächen pro Kopf stetig. Gefragt sind deshalb clevere, modulare Lösungen – und eine klare Positionierung am Markt.
Wenn Sie einen Wunsch für die Zukunft der Möbelproduktion in der Schweiz frei hätten – was wäre das?
Mastrodomenico: Mein Wunsch wäre, dass viel mehr Menschen bewusst Schweizer Produkte kaufen. Früher wurde lokal eingekauft, nicht nur bei Möbeln. Heute fehlt oft die Sensibilität dafür, langlebige, hochwertige Produkte zu wählen, statt schnell etwas Günstiges zu kaufen und es bald wieder zu entsorgen. Wenn die Wertschätzung für Qualität und lokale Herstellung wieder stärker im Fokus stünde, wäre das ein grosser Gewinn.
Föhn: Ich wünsche mir mehr Anerkennung für das Handwerk. Momentan liegt der Fokus oft auf dem Preis und Rabatt. Dabei geht es um viel mehr: um die Wertigkeit der Arbeit, um die Menschen, die mit Fachwissen und Leidenschaft produzieren. Wenn die Gesellschaft den Wert von einheimischer Arbeit und handwerklicher Qualität wieder stärker schätzen würde, wäre das ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.