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«Das letzte Meisterstück»

«Tenuto da filo» ist von der Schaffreite inspiriert, einem alpenländischen Möbel zur Aufbewahrung von Lebensmitteln.

Man nähert sich dem Objekt ein bisschen wie einem Stachelschwein. Es scheint borstig, unrasiert, als wäre es mit einem Flickenteppich überzogen – und doch wirkt der
hüfthohe Monolith so spannend und einladend, dass man nicht darum herum kommt, näherzutreten. Dabei entdeckt man alsbald, dass die Oberfläche aus Holz besteht,
aus Räuchereichenholz. Die einzelnen Eichenplättchen, welche die Aussenhaut zieren, sind untereinander mit einer Art Klammern verbunden.

«Das sind keine Klammern», belehrt Heinz Baumann. «Der Kubus ist genäht.» Und auf einmal erkennt man, dass die Eichenstücke massiv sein müssen, dass hinter der kunstvollen Erscheinung mehr geistige und praktische Arbeit steckt, als vielleicht vorerst angenommen wurde.

Bei näherem Betrachten und mit ein bisschen gütiger Mithilfe durch seinen Erschaffer fördert der Quader Funktionen zutage, die man so nicht vermutet hätte: Es öffnen sich Türen, es lassen sich Schubladen herausziehen. Schlagartig wird klar: Bei dem «Stachelschwein» handelt es sich um ein Möbelstück.

Handwerk und Kunst
Heinz Baumann von der gleichnamigen Möbelmanufaktur hat in den 40 Jahren, in denen er in seinem Unternehmen arbeitet, schon manches Möbelstück entworfen und umgesetzt. Es sind dies oft Möbelstücke, die eigentlich in Galerien stehen könnten, sind sie doch nah an der Grenze zur Kunst. So wurde zum Beispiel das erste Möbel der limitierten Auflage von «Pezzo» durch das Schweizerische Nationalmuseum angekauft, oder der Schrank «Nomad» steht in der Sammlung des Zürcher Museums für Gestaltung. Für das beschriebene Möbel «Tenuto da filo» hat Heinz Baumann vom Formforum kürzlich die Auszeichnung «Masterpiece» erhalten – zum zweiten Mal in seiner Karriere.

Stille Stabübergabe
Doch der Rheintaler ist trotz des Erfolgs immer Bescheiden geblieben, so verkündete er kürzlich auf der Bühne der Blickfang-Designmesse in Basel, welche er seit 23 Jahren begleitet, dass er als «Landei» sehr dankbar sei, die Chance erhalten zu haben, in der Metropole auszustellen.
Seine Bescheidenheit spiegelt sich auch in der Art und Weise wider, wie er das von ihm gegründete Unternehmen verlässt. Er übergibt an Marc Künzle und nimmt seinen Namen aus der Firmenbezeichnung. Das Unternehmen heisst von nun an Möbelmanufaktur 1980 AG, abgeleitet vom Gründungsjahr. Von nun an würde er als Mitarbeiter unterstützen, wo nötig.

Fügen von Holz
Beim genähten Möbel «Tenuto da filo» ist keine Produktentwicklung mehr nötig. Doch wie kommt man dazu, Holz zu nähen? Heinz Baumann war schon immer an der Art und Weise interessiert, wie einzelne Stücke Massivholz flächig zusammengefügt werden können. Er habe schon lange ein Möbel entwerfen wollen, das nur genagelt war. Doch nach mehreren Versuchen mit Nägeln und Klammern wurde ihm bewusst, dass Holz in seiner Längsfügung so nicht beizukommen war. Also musste eine andere Lösung her. Er nahm Nadel und Draht und «vernähte» die Hölzer im Sinne eines «Patchworks». «Tenuto da filo» war geboren.

Es sei dies sein «letztes Meisterstück», sagt Heinz Baumann mit einem Schmunzeln. Er meint damit hoffentlich nicht das letzte Möbelstück aus seiner Hand.